Es gibt sie diese Reisetage...

an denen man einfach nicht draußen leben will. Wir sind an der Küste in Ouadilia, das Wetter ist kalt und regnerisch. Ich habe etwas Zeit nachzudenken und die bisherigen Eindrücke der Reise auf mich wirken zu lassen. Ich liege oben im Dachzelt, Peter reicht mir einen Kaffee rein. Es ist Mittwoch um 9:30. In meinem früheren Leben, wäre ich jetzt schon mitten im Projekt an meinem Schreibtisch und würde Bürokaffee trinken. Noch immer beschleicht mich ab und zu ein Gefühl, dies schlechte Gewissen meiner Erziehung, dass man doch eigentlich sowas in meinem Alter noch nicht machen darf bzw. sich überhaupt leisten kann. „Rumhängen an Strand“, „Reisen wo und wie lange man will“, …..nein, „man geht doch arbeiten, hat einen Firmenwagen und ein kleines Zweitauto, eine Wohnung oder sogar ein Haus, viele Kleidungsstücke im Schrank und regt sich am Wochenende gerne über den Vorgesetzten auf und sagt, wenn ich mal in Rente bin, gehe ich auf Weltreise.“ Komische Gedanken, die mich da immer beschleichen. Ich gehöre zu der Generation, die vermutlich noch bis 67 oder vielleicht bis 70 arbeiten gehen muss.…und dann soll ich erst auf Reisen gehen, no way, mit 70 sich das noch anzutun, jeden Tag da oben ins Dachzelt zu krabbeln, vielleicht bin ich dann krank….Dieser Gedanke macht mir immer Angst. Was ist, wenn ich nach meinem Arbeitsleben sehr krank werde….oder Peter und unser Traum aus und vorbei ist. Gar nicht erst angefangen, nicht einen Meter auf Weltreise gewesen zu sein, nur davon geträumt. 

 

Monate des Abschieds liegen hinter mir, von meinem Papi und Schwiegerpapi, von meinem Job, von unserem Zweitwagen, Peters Firmenwagen, meiner alten Skiausrüstung, von unserem Wohnsitz in Bayern, von Dingen, die mir bislang lieb und teuer waren. Mein Leben ist nun eingelagert in Kisten, viele Kleidungsstücke besitze ich nicht mehr. Nur noch das Wichtigste für die Reise und ein paar Stücke, die ich bei meinen Eltern gelagert habe, da ich Weihnachten nach Hause kommen möchte und ich den bürgerlichen Rahmen nicht wirklich sprengen möchte und doch noch auf die Idee zu kommen in Outdoorkleidung unterm Weihnachtsbaum zu sitzen. Das könnte ich meiner Mama nie zumuten, die es doch immer sehr gerne mag, wenn wir zu Weihnachten schick aussehen. Deshalb lagern ein paar passable Kleidungsstücke in meinem alten Kinderzimmer. Ich denke gerade an meinem Vater, der kurz vor seinem Tod noch sagte, Ihr macht alles richtig so, macht Eure Reise, ihr habt doch nichts zu verlieren. Er war es auch, der auf 3 Jahre verlängert hatte. Ich erinnere mich noch an den Tag im September, als ich mit meinem Papa alleine im Wohnzimmer saß, es ging ihm schon nicht mehr gut, meine Mutter war kurz zum Einkaufen gefahren und hatte mich gebeten bei Papa zu bleiben. Wir kamen herrlich ins Reden und er erzählte mir seine ganzen Reiseerinnerungen und wie gerne er noch reisen würde und dass der Krebs der allergrößte Mist sei. Er sagte mir noch, er könnte zwar nicht so beengt wie wir im Landy leben, aber wir sollten das nur so durchziehen, jetzt und definitiv nicht später und wir sollten auch keine Zweifel daran haben, ob dies die richtige Entscheidung ist. Peter und ich hatten zunächst immer von 2 Jahren gesprochen, aber mein Vater meinte noch an diesem Tag, dass wir eigentlich 3 Jahre bräuchten. So wurde das Zeitbudget kurzerhand um ein Jahr erweitert. 

 

Es ist teilweise schon verrückt, was einem dann aber wieder für absurde Gedanken durch den Kopf gehen. Immer wieder werde ich danach gefragt, wie wir uns das leisten können, was wir danach machen, wir ernten Kopfschütteln, viele Fragestellungen, aber auch Bewunderung für den Mut. Nein, Peter und ich haben kein Geld gewonnen oder dicke Erbschaften gemacht. Aber wir haben eine sehr gute Ausbildung und hatten einfach auch Glück sehr gute Jobs gehabt zu haben. Wir konnten uns mehr oder weniger „alles“ kaufen und schöne Urlaube machen. Aber am Ende des Tages stand für uns die Frage im Raum wofür wir das alles eigentlich machen. Wir stellten uns oft eine Frage: Ist es nicht so, dass wir eigentlich Sklaven unseres Konsums sind und deswegen immer mehr verdienen müssen. Beim Auszug zählte ich viele Paar Schuhe und bestimmt ein Dutzend Handtaschen, darunter auch ein paar Designerteile. Als mein Vater in den letzten Jahren seiner Krankheit merklich abbaute, fing ich immer öfters an zu hinterfragen, was uns eigentlich am Ende bleibt. Sein Leiden war für mich unerträglich anzusehen, da er immer so gerne gelebt hat, immer sehr agil war und er eigentlich noch Lust hatte auf das Leben. Ich habe oft in der Nacht wachgelegen und nachgedacht, geweint und wieder und wieder mein und Peters Lebens hinterfragt. 

 

Schöne Dinge halten eine Zeit lang…….,aber Erlebnisse und Erinnerungen nehme ich am Ende des Tages mit und die will ich nicht erst im Rentenalter sammeln, sondern jetzt schon. Also weg mit dem ganzen Krempel, Kosten runter, Job eine gewisse Zeit aufgeben und los. Es ist schwerer als man denkt, sich von gewohnten Dingen und Abläufen zu trennen. Es sind nicht mal die Ersparnisse, an die man ran muss, für Geld kann jeder arbeiten, es sind die Gewohnheiten, das eingespielte Leben, an das man ran muss, und dann noch zu 100 %. Alles jetzt auf gleich, Entscheidungen zu treffen, die auch gleich Wirkung zeigen. Damit habe ich durchaus schwer gerungen.Peter hatte da weniger Probleme, da er nicht so an den Dingen hängt wie ich. 

 

Von vielen Reisenden habe ich erfahren, dass es am Schwierigsten ist, überhaupt los zu kommen. Ist man dann unterwegs groovt es sich ein. Neue Gewohnheiten kehren wieder. Beispielsweise die Handgriffe, die gemacht werden müssen, um das Auto fahrbereit zu machen. Jeder hat irgendwie seine Aufgaben und mittlerweile hat jedes noch so kleines gottverdammte Teil seinen Platz. Es gibt kleine Routinen, die uns organisiert halten. Ich glaube sehr wohl, dass der Mensch das braucht und siehe da, es fängt an sich wohl zu fühlen. Ich fühle mich nun fast so heimisch wie in meinen früheren vier Wänden mit Sofa und Tisch. Die Wege sind nun viel kürzer, alles ist in Minuten griffbereit, es muss auch jeder Winkel sauer gehalten werden, es gibt ein Sofa, ein Bett, eine Küche, eine Dusche und auch eine Garage für die Ersatzteile und Putzmittel fürs Auto. Der Landy ist nun unsere Wohnung, sogar unser Haus und wo wir Robbie hinstellen, da wohnen auch wir. So einfach ist das. 

 

 

Genug nachgedacht, stay tuend with us….

 

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