Die Straße ins Nirgendwo

Von Petrosavosk geht es nun weiter, 3 schöne und entspannte Reisetage mit tollen Erlebnissen liegen hinter uns. Wir wollen auf die Halbinsel, die direkt vor Kishi Island liegt, auf der Landkarte sieht sie zerfetzt und zerklüftet aus. Auf der Karte und auf maps.me versuche ich einen Weg zu finden. Wir fahren noch ein gutes Stück auf dem Kola-Highway nordwärts bis nach Medweschjegorsk und biegen dort auf die Halbinsel ab. Zunächst ist die Straße noch gut, aber schon sehr bald endet der Weg im Nirgendwo. Über zig Kilometer fahren wir auf einer Piste südwärts auf einer kleinen, dünnen Landzunge geradeaus. Links und rechts können wir die Seen durch die Bäume erkennen. Kein Mensch weit und breit, es ist verdammt einsam denken wir noch. Kein Auto, kein Mensch, nur Piste und ein Defender auf einer engen, mit Schlaglöchern gefüllten Piste. Es scheppert, die Bleche rasseln, nur keine Panne jetzt, das SAT Phone immer griffbereit in der Mittelbox. Das Fahren auf diesen Pisten macht irgendwann keinen Spaß mehr.

Grund dieser Fahrt ist, dass wir uns mit Juri und Ira treffen wollen, unseren russischen Freunden, die wir in Petrosavosk getroffen hatten. Juri hatte uns gps Daten geschickt vom Treffpunkt und der Landy fuhr nun dahin. Wir entscheiden uns jedoch alsbald einen Stop einzulegen, das Wetter ist noch gut und wir entdecken einen wunderschönen Standplatz mit Grillstelle und perfektem Zugang zum See. Über eine böse schlammige Offroadpiste erreichen wir den Platz. Kurz denke ich noch, dass wir festhängen, aber Robbie meistert die Stelle auf einer Reifenflanke ohne Zip und Zap.  Würde sie Gefühle haben wie ein Mensch, hätte sie schon längst die Augen gerollt und mich aus dem Auto geworfen. Wir wollen eigentlich grillen, als ein Gewitter aufkommt. Wir schaffen es noch die 270 Grad Markise aufzubauen. Als es anfängt höllenmäßig zu donnern und zu blitzen sitzen wir entspannt im Auto beim Bier und Abendbrot. Wir fühlen uns sicher und gemütlich und lassen den Abend locker ausklingen. Am nächsten Tag gehts wieder auf die Piste, noch 60 km bis zur GPS Koordinate. Nach einiger Zeit auf der Waldpiste biegen wir ab auf eine asphaltierte Straße, wir wundern uns etwas, aber es gibt einige kleine Dörfer hier und wir sind auf dem Hauptweg abgebogen. Etwas mehr Entspannung macht sich breit, die aber jäh wieder durch eine Kurve zunichte gemacht wird, hinter der wir auf eine breiten Steinpiste abbiegen müssen. Es geht nun 25 km auf breitester Steinpiste wieder stur geradeaus. Hin und wieder durchfahren wir kleinere Kuhlen und engere Passagen. Links und rechts nur dichter Wald und Moor. Die Piste ist sauber aufgeschüttet und ordentlich abgelegt. Peter und ich rätseln noch, welchen Sinn es hatte, diese Straße anzulegen, da sie ins Nirgendwo führt und kein Dorf mehr auf der Karte verzeichnet ist. Wir entdecken plötzlich einen alten rostigen Eisenbahwagen, der während des Baus der Straße den Arbeitern vermutlich als Schutz diente. Wir beschließen diesen uns genauer anzusehen und verlassen die Piste. Es wirkt alles sehr skurril auf mich, mit der Kamera bewaffnet steuere ich direkt auf ihn zu. Was mich wohl erwarten wird, da ich lost places liebe, kommt ein Kribbeln auf, als ich die Tür öffne. Wir sehen eine typische Bauarbeiterbude mit Ofen, Tisch und Bank. Allerdings entdecken wir noch einen volles Salzglas, Gläser, Flaschen und weiteres Zeug, das auf dem Tisch steht. Mir erscheint es eher so, als wären die Arbeiter gerade nur kurz rausgegangen. Wir werden nachdenklich und fragen uns, welche Geschichte könnten die Wände uns erzählen über den Sinn der Straße ins Nirgendwo. Was wurden hier für Geschichten ausgetauscht 

 

und wie viele Arbeiter hatten hier wohl Schutz gefunden. Ich verweile noch einige Zeit und lasse meiner Phantasie freien lauf und stelle mir kurz vor, wie es wohl gewesen sein könnte. Als wir wieder auf die Steinpiste fahren lässt uns die Frage nach dem Sinn der Straße keine Ruhe. Vielleicht wurden hier nur Gelder gewaschen, oder man hatte vor gehabt die Region zu erschließen. Wir wissen es nicht als die Piste abrupt endet und sich vor uns ein schmaler Weg auftut. Noch 2 km und wir sind an dem Bootssteg, wo wir uns mit Juri und Ira treffen wollen. Der Weg besteht nur aus Pfützen und übelsten Verschränkungspassagen, Peter und Robbie haben Spaß. Alle Sperren sind drin und los geht’s. Wir werden hin und her geschüttelt, das Auto wippt und ich sehe den Schlamm an die Türen spritzen. Der Wagen brummt und keucht. Am Ende der Piste sehen wir dann den Steg, der GPS zeigt Ziel an...wir steigen aus und gucken uns an und fragen uns, das wars also nun für diesen gottverdammten kleinen unspektakulären Steg. Wir können es kaum fassen, aber die GPS Daten stimmen. Wird schon passen und rufen Juri an. Wir vereinbaren mit ihm, dass er uns mit dem Boot holt und wir zusammen nach Kishi fahren. Das Kloster können wir bereits vom Steg aus sehen, es ist vielleicht nur 1 km weit weg. Als wir zusammen nach Kishi schippern lassen wir den Landy am Ufer zurück. Für den Abend werden wir vor einem zerfallenen Haus mit Grillstelle übernachten und an Ort und Stelle bleiben. Wir verbringen den Nachmittag jedoch zunächst mit unseren Freunden auf Kishi und haben wieder jede Menge Spaß und schöne Gespräche. Wir besuchen das Kloster und noch ein karelisches Museumsdorf bevor wir wieder zu anderen Seite schippern. Juri und Ira beschließen am Steg Anker zu werfen und wir lassen die Gelegenheit natürlich nicht aus, sie am Lagerfeuer zu bekochen. Dieses Mal gibt es russische Suppe als Vorspeise und als Hauptgang Pizza. Bis um Mitternacht sitzen wir noch zusammen als wir uns in unsere Landy- und Bootsbetten verabschieden. Ein ereignisreicher Tag mit vielen Fragen geht wieder mal zu Ende. Ich denke noch kurz an die Straße ins Nirgendwo als ich das Licht im Dachzelt ausmache. Russland ist einfach skurril und spannend und wirft sehr viele unbeantwortete Fragen in mir auf, denen ich sicherlich noch tiefer auf dem Grund gehen werde. Es wird also nicht langweilig.